Ich habe mir heute Teile der Urteilsverkündung des Bundesverfassungsgerichts zum Thema Wiederaufnahme von Strafverfahren angesehen. Inhaltlich nicht wirklich was neues (ich habe damals das Urteil gelesen), aber eine Sache war SEHR fragwürdig: Die Aufnahme in voller Länge die Phoenix da ins Netz gestellt hat ist nicht in Bezug auf den Namen des Beschwerdeführers zensiert. Ich halte das für mindestens sehr problematisch:
Auch in Reaktion auf den NSU-Prozess wurde damals das Gesetz über die Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren (EMöGG) erlassen, dass in bestimmten Fällen das Filmen der Urteilsbegründungen erlaubt, etwa bei Urteilen des BVerG, die ja in der Regel mehr Fokus auf die Rechtslage als auf einen konkreten Fall legen.
Die Sache ist nun natürlich die: Die erneute Anklage um die es hier ging war in etwa so eindeutig, wie es nur geht, weil es die erste war (niemand fängt mit den grenzwertigen Fällen an) und der Angeklagte sogar schon im Zivilrecht für schuldig befunden wurde…
1/𝑛
Mit anderen Worten: Es besteht praktisch kein Zweifel, dass er es tatsächlich auch war. ABER: Er wurde halt schon mal rechtsfehlerfrei frei gesprochen und damit war die Sache halt dann auch erstmal gegessen.
Durch die Änderung der Strafprozessordnung um in solchen Fällen wieder Anklagen möglich wurden, hat die Staatsanwaltschaft das dann auch in die Wege geleitet und U-Haft beantragt, die letztlich auch bewilligt wurde.
Dagegen hat der Angeklagte Verfassungsbeschwerde gegen die U-Haft und die Gesetzesänderung eingereicht, die letztlich auch bestätigt wurde. (Alle Richter waren sich einig, dass das Gesetz so ungültig war, weil es gegen das Rückwirkungsverbot verstößt, und die Mehrheit hielt solche Gesetze sogar ganz allgemein für unzulässig. Persönlich finde ich die Begründung der Minderheit überzeugender.)
2/𝑛
Wir haben also abschließend gesichert, dass der Angeklagte aus juristischer Sicht klar UNSCHULDIG ist, wissen aber aus dem Kontext dass er tatsächlich fast sicher SCHULDIG ist. Und in diesem Kontext veröffentlichen wir seinen Namen…
Sorry, das geht einfach nicht.
Juristisch unschuldig muss in einem Rechtsstaat auch tatsächlich wie unschuldig behandelt werden, auch wenn wir „wissen“, dass die Person es definitiv war und es um maximal widerwärtige Taten wie im fraglichen Fall geht!
Mit anderen Worten: Ich finde hier, dass die Namensnennung des Angeklagten fast ein schlimmerer Grundrechtseingriff ist, als die als verfassungswidrig eingestuften Wiederaufnahmeregelung!
Und ja: Auch Täter haben ein Recht auf Anonymität! Ihre Namen zu veröffentlichen dient in aller Regel keinem legitimen Zweck einer Strafe und kann darüber hinaus die Resozialisierung verhindern, die der primäre Zweck einer rechtsstaatlichen Strafe ist!
3/3